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1 Juden in Hamburg
Die Juden in Hamburg haben eine sehr wechselvolle Geschichte. Vor allem durch das Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) in Hamburg ist die jüngere Vergangenheit, besonders die Zeit der Verfolgung durch die National-Sozialisten, gut erarbeitet.
Für den hier gewählten Untersuchungszeitraum liegen lediglich für den wichtigen Beginn der Emanzipationsphase ab ca. 1780 einige Quellen und gute Bearbeitungen vor. Die Aufteilung der jüdischen Dreigemeinde im Jahre 1812 wird dagegen aufgrund schlechter Quellenlage in der Literatur kaum behandelt.
Der Forschungsstand stellt sich so dar, dass häufig, wie bei Freimark, eher beiläufig erwähnt wird, dass „das Ende der Dreigemeinde eingeleitet“ und vollzogen wurde und wenig später, nach der Franzosenzeit, dass „der Dreigemeinde-Verband nicht wiederhergestellt“[1] wurde.
Krohn nennt in ihrer Arbeit über die Juden in Hamburg 1800 – 1850 den vermeintlichen Grund der Auflösung in wenigen Zeilen:
„Ein mit der französischen Gesetzgebung in Hamburg in Kraft getretenes Napoleonisches Dekret vom 17. März 1808 über die Kirchenverfassung der Juden machte die sofortige Auflösung der Dreigemeinde nötig. Sie wurde durch die Separationsakte vom 26. April 1812 vollzogen. Die Hamburger Juden bildeten fortan eine selbstständige Gemeinde, die zunächst unter provisorische Verwaltung gestellt wurde.“[2]
Bei Streicher findet sich ein Hinweis, der dem von Krohn genannten Grund scheinbar entgegen spricht und besagt, dass die Einführung von französischer Gesetzgebung und die Aufteilung der Dreigemeinde weitaus weniger miteinander zu tun hätten als dies beim bloßen Zusammenfallen der beiden Daten den Anschein hat.[3]
Aus diesen beiden Ansätzen ergibt sich die Leitfrage dieser Arbeit: War die Aufteilung der Dreigemeinde ein rein formal-juristischer Akt aufgrund der Dekrete Napoleons oder gab es längere innerjüdische oder politische Bestrebungen für die Aufhebung der Gemeinde-Konföderation?
Weitere Teilfragen ergeben sich aus den gesondert untersuchten Prozessen vom Beginn der ersten Ansiedlung von Juden in Hamburg (1590) bis zur Aufteilung der Dreigemeinde durch die Separationsakte (1812).
Im ersten Teil dieser Arbeit erfolgt eine ausführliche Beschreibung der Geschichte der Juden im Hamburger Raum. Im Kapitel 2 für die Geschichte der Sepharden und Kapitel 3 die Geschichte der Aschkenasim dargestellt, da diese unbedingt gesondert zu betrachten ist. Der Begriff Hamburger Raum hat sich dabei durchgesetzt für die damals unterschiedlichen territorialen Einheiten der Grafschaft Wandsbek, der dänischen Dörfer Altona und Ottensen und der Freien und Hansestadt Hamburg, die – ausgehend vom Anziehungspunkt der wirtschaftlichen Prosperität Hamburgs – stets miteinander agierten.
Die für das Deutsche Reich im Untersuchungszeitraum so typische und in Hamburg noch einmal speziell ausgeprägte Kleinstaaterei wird dabei als möglicher Grund für Differenzen innerhalb der Dreigemeinde ebenfalls untersucht. Vom Beginn der ersten Ansiedlung im Hamburger Raum bilden vor allem die Juden in Hamburg und die in Altona ein unterschiedliches Profil, das zu Spannungen führt. Diese werden durch ihre nationalstaatlichen Heimaten – Hamburg und Dänemark – auf politischer Länderebene nochmals verstärkt.
Innerjüdisch werden zunächst die Unterschiede zwischen Sepharden[4] und Aschkenasim[5] und der Prozess bis zur Gemeindevereinigung 1671 (Kap. 3.2) sowie die sich anschließende Führungsrolle des Altonaer Oberrabbinats in ihrer konservativen, oft auch chassidistisch[6] angehauchten, Rolle als Bewahrer des traditionellen Judentums (Kap. 3.3) untersucht. Demgegenüber steht ein aufgeklärtes Judentum, dessen Betätigung im Sinne der Haskalah[7] bis zum Ende der Dreigemeinde aber merkwürdig gelähmt bleibt und erst danach eine Führungsrolle in Europa einnimmt (Kap. 3.4). Daraus ergibt sich die Frage: Welche Rolle spielt die Dreigemeinde im Machtkampf der Bewahrer gegen das Moderne?
Kapitel 4 beschreibt die Franzosenzeit in Hamburg (1806 – 1814). Für die Hamburger Juden gab es viele Veränderungen in dieser Zeit. Der sozial-geschichtliche Aspekt wird in aller Kürze dargestellt, da Krohn und Streicher dies zum Thema ihrer Arbeiten haben.
Die Franzosenzeit führt die beiden Stränge, Geschichte der Juden im Hamburger Raum einerseits und die französische Gesetzgebung bezüglich der Juden andererseits, zusammen.
Wichtig für diese Untersuchung sind daher die Fragen: Wann und unter welchen politischen Umständen vollzieht sich die Trennung der Gemeinden? Warum wurde die Franzosenzeit auch von vielen Hamburger Juden als Unterdrückung empfunden, obwohl Napoleon ihnen doch – wie es zumindest häufig zu lesen und was zu untersuchen ist - die bürgerliche Gleichberechtigung gab?
Da sich die Aufteilung der Dreigemeinde nach französischer Gesetzgebung vollzieht, wird diese im Kapitel 5 eingehend untersucht.
Um dem von Krohn gegebenen Hinweis auf die Dekrete Napoleons in ihrer Wirkung für Hamburg nachzugehen, wird der ganze Prozess der Judengesetzgebung in Frankreich ausführlich dargestellt. Der französische Prozess vom Bürgerrecht für Juden 1791 über Notabelnversammlung und Sanhedrin bis zu den Dekreten Napoleons 1808 spiegelt dabei exemplarisch die Assimilationsbestrebungen von westeuropäischen Juden zu dieser Zeit wieder. Es können Vergleiche zur Hamburger Situation gezogen werden, wo zumindest der Senat die Juden integrieren wollte, um ihren wirtschaftlichen Nutzen zu mehren.
Bei dieser Darstellung war die Dissertation von van der Walde[8] sehr hilfreich, da es ansonsten außer allgemeinen Darstellungen wir Grätz´s Geschichte der Juden[9] keine kompakten Darstellungen mit ausführlichen Quellenzitaten zu diesem Thema gibt.
Der Prozess der Aufteilung der Dreigemeinde wird sofort nach Inkrafttreten der französischen Gesetzgebung 1811 eingeleitet (Kapitel 6) und offenbar nur von den Hamburger Juden mit großem Elan vorangetrieben.
Daraus ergibt sich die Frage: Wie standen die Altonaer Juden und äußere Institutionen wie Senat und Bürgerschaft zur Aufteilung? Sowohl Senat als auch Bürgerschaft sind zwar in der Franzosenzeit nicht existent, aber sie sorgen auch nicht – wie bei den meisten anderen französischen Gesetzen und Verordnungen – nach ihrer Wiedereinsetzung für eine Restauration des status quo vor der französischen Besetzung.
Dieser Befund führt zurück zur Leitfrage: War die Aufteilung der Dreigemeinde ein rein formal-juristischer Akt aufgrund der Dekrete Napoleons oder gab es längere innerjüdische oder politische Bestrebungen für die Aufhebung der Gemeinde-Konföderation?
Die Quellensituation gestaltet sich ähnlich schwierig wie die wenigen, bereits angesprochenen Hinweise in der Literatur.
Die wichtigsten Primärquellen zu dieser Zeit bis 1812 wie Gemeindeprotokolle, Gerichtsakten des Altonaer Oberrabbinats und Gemeindestatuten sind in hebräischer oder jiddischer Sprache verfasst. Erst die Separationsakte vom 26. April 1812 ist das erste längere, bedeutende Dokument auf deutsch.
Viele andere Quellen sind bereits im Großen Brand von 1842 zerstört worden und nicht alles konnte die nationalsozialistische Zerstörungswut überdauern, obwohl die Mehrheit der Dokumente diese Zeit durch Einlagerung in die Universitäts- und Staatsbibliothek Hamburg überdauerte.
Daher sind die edierten Quellen besonders wichtig. Graupe[10] und Marwedel[11], haben durch ihre Editionen der Privilegien und Verordnungen Dänemarks und Hamburgs bezüglich der Juden und durch die Übersetzung hebräischer Gemeindestatuten eine Konstruktion der Geschichte der Hamburger möglich gemacht. Zuvor edierten Reils[12] (1847), Feilchenfeld[13] (1898) und Grunwald[14] (1904) einige wichtige Quellen.
Bran liefert wichtige Akten der französischen Judengesetzgebung und Haarbleicher zeichnete bereits 1867 anhand vieler Dokumente den Weg der Aufteilung der Dreigemeinde nach.
[1] Freimark, Peter: Innerhalb des deutschen Judentums hatten die Hamburger Juden ein eigenes Profil, in: Lorenz, Ina (Hrsg.): Zerstörte Geschichte. Vierhundert Jahre jüd. Leben in HH, Hamburg 2005. S. 68-75. Hier: S. 15.
[2] Krohn, Helga: Die Juden in Hamburg 1800 – 1850. Ihre soziale, kulturelle und politische Entwicklung während der Emanzipationszeit, Frankfurt/M. 1967. S. 18.
[3] Streicher, Tatjana Rebecca: Die Situation der Hamburger Juden während der Franzosenzeit, Mag.-Arbeit, Uni Hamburg 1989, S. II. des Vorwortes.
[4] Anmerkung 10.
[5] Anmerkung 23.
[6] Anmerkung 104.
[7] Anmerkung 103.
[8] Beachte zu seiner Vita und den Umständen der Diss. Anmerkung 99. Van der Walde, Isaak: Napoleon und die Juden. Ein Beitrag zur Lösung der Judenfrage in den Jahren 1806 – 1808, Diss., Hamburg 1933.
[9] Grätz, Heinrich.: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd.11, Leipzig 19002.
[10] Graupe, Heinz Mosche (Hrsg.): Die Statuten der drei Gemeinden Altona, Hamburg und Wandsbek. Quellen zur jüdischen Gemeindeorganisation im 17. und 18. Jahrhundert, Teil 1, Hamburg 1973.
[11] Marwedel, Günther (Hrsg.): Die Privilegien der Juden in Altona, Hamburg 1976.
[12] Reils, Heinrich: Von den ältesten Niederlassungen der Juden in Hamburg, in: Zeitschrift für Hamburgische Geschichte 2/1847. S. 157-166 und 357-424.
[13] Feilchenfeld, Alfred: Aus der Geschichte der portugiesisch-israelitischen Gemeinde in Hamburg, Hamburg 1898.
[14] Grunwald, Max: Hamburgs deutsche Juden bis zur Auflösung der Dreigemeinden 1811, Hamburg 1904.
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