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5.3.3 Die Notabelnversammlung
Die jüdischen Deputierten kamen bereits am 15. Juli 1806 in Ungewissheit über das, was sie erwartete, nach Paris.
Am 26. Juli hatte der Innenminister ins Hotel des Ville (Rathaus) eingeladen. Die Tagesordnungspunkte waren die Wahl eines Präsidenten und zweier Sekretäre sowie drei Beisitzer, die alle zusammen das Präsidium der Notabelnversammlung stellten.
Der Innenminister sagte, dass dem Präsidium dann die 12 Fragen der Kaiserlichen Kommission mitgeteilt würden. Grund der Fragen sei es, „die Juden zu nützlichen Bürgern zu machen, ihren Glauben mit den Pflichten der Franzosen in Übereinstimmung zu bringen, die Vorwürfe, die man ihnen macht, abzuwenden und den Übeln abzuhelfen, die sie verursacht haben.“[151]
Als erstes mussten die Notabeln über die Festlegung des ersten Sitzungstages beraten. Dieser war, wohl auch um die Gesinnung der Juden zu prüfen, auf einen Schabbath gelegt worden. Einige Rabbis empörten sich darüber, doch man wollte nicht schon vor Beginn der Versammlung Zwietracht säen und somit wurde der Schabbath als Sitzungstag angenommen. Kleinere Störfeuer und Versuche aus einigen Departements, die Versammlung zu verzögern, wurden ebenfalls im Keim erstickt. Die Wahl des Präsidiums ergab Furtado als Präsidenten; Isaac Samuel Avigdor und Rodrigues als Sekretäre; Olry Hayem Worms, Theodor Cerfberr und Emil Vitta als Beisitzer.
Furtado war schon lange für die Integration der jüdischen Religion ins französische Staatsgefüge eingetreten (s.o.) und somit hatte seine Wahl auch einen symbolischen Charakter.
Im Vergleich zur Hamburger Situation war aber auch bedeutend, dass Furtado Sepharde war. Nach van der Walde zeigte die Wahl, „dass die Unterschiede, die man den portugiesischen und deutschen Juden anhaften wollte, nur persönlicher Natur waren. Die Juden des Südens [Frankreichs] weigerten sich, ihre Interessen mit denen des Nordens zu verschmelzen, obwohl sie doch alle Kaufleute oder Industrielle wie diese waren, nur mit dem Unterschied, dass die des Südens in Reichtum, während die des Nordens größtenteils in Armut lebten.“[152]
In der ersten Rede versuchte Lippmann Cerfberr, alle etwaigen Differenzen zu zerstreuen und ein Einheitsgefühl herzustellen: „Vergessen wir, woher wir stammen! Nichts mehr von Elsässer Juden, nichts mehr von Portugiesen, nichts mehr von deutschen Juden. Über den Erdboden zerstreut, sind wir doch nur ein einziges Volk, denselben Gott anbetend, und wie unser Gebot es befiehlt, der Macht unterworfen, unter deren Gesetze wir leben.“[153]
Am zweiten Versammlungstag, dem 29. Juli, wurden die zwölf zu beantwortenden Fragen vorgelesen (siehe Anhang B). Molé, Portalis und Plasquier waren per kaiserlichem Dekret zu Bevollmächtigten ernannt worden und ersterer wurde, weil seine Meinung über die Juden bekannt war, von selbigen gehasst.[154] Plasquier und Porrtalis mussten ihn in seinem Judenhass und seinem aufbrausenden Temperament mehrmals zügeln.
Molé hielt eine Rede und sprach im Tonfall einer Drohung davon, dass die Juden mit der Regierung zusammenarbeiten sollten, um ihren Eintritt in die französische Nation zu verwirklichen. Anschließend werden die 12 Fragen vorgelesen.
Furtado antwortete sehr geschickt auf Molés Drohungen und schaffte es auch, Napoleons Missgunst in Vertrauen umzuwandeln. Anschließend wurde eine Kommission aus den Deputierten gewählt, die die Beantwortung der Fragen vorbereiten sollte.
Nach Grätz war es schließlich hauptsächlich die Arbeit von Rabbi David Sinzheim, der innerhalb von nur sechs Tagen die Beantwortung ausgewogen und befriedigend für alle Beteiligten ausarbeitete.[155]
Eine bemerkenswerte Rede hielt auf dieser zweiten Versammlung Isaac Berr. Er erinnerte die Juden an ihre Geschichte der Unterdrückung und das das jüdische Volk – obwohl zerstreut über den ganzen Erdball – nicht untergegangen wäre und darin die Zuversicht läge, dass es nicht untergehen werde. Berr sprach vom Licht der Wissenschaft und vom heiligen Feuer. „Lasst uns schwören, beides zu bleiben: Franzosen, indem wir mit Eifer das von uns geliebte Vaterland verteidigen, und Juden, indem wir den religiösen Gesetzen und dem Glauben unserer Väter treu bleiben. Als beides wollen wir unserem erhabenen Kaiser und König ewige Liebe schören.“[156]
Die Verbindung von mosaischen Gesetz und Vaterlandsliebe in der Rede Berrs haben viele Aufklärer in Deutschland auch beschworen. Viele aufgeklärte Hamburger Juden hätten den Fragenkatalog wohl ähnlich der Notabeln-versammlung beantwortet und einen Ausgleich zwischen Staat und Religion gesucht.
Für das Altonaer Rabbinat war eben diese Verbindung nicht möglich und vor allem an den Fragen der Funktion des Rabbiners und seiner polizeilichen Gewalt (= Banngewalt), also den alten Hamburger Streitpunkten, hatte sich gezeigt, dass das konservative (chassidistische) Oberrabinat noch nicht in der moderne angekommen war, obwohl die wichtigen Fragen im Hamburger Raum auch in der französischen Notabelversammlung zur Sprache kamen.
[151] Vgl. Van der Walde (1933), S. 37.
[152] Ebd., S. 38.
[153] In: Bran (1807/1808), S. 185.
[154] Vgl. Van der Walde (1933), S. 38.
[155] Grätz (1900), S. 286.
[156] In: Bran (1806/1807), S. 185.
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