Synagoge

Die Aufteilung der jüdischen Dreigemeinde in Hamburg 1812

von Simon Hollendung

7 Untersuchungsergebnis

Für die Frage nach den Gründen der Aufteilung der jüdischen Dreigemeinde in Hamburg 1812 ergibt sich folgender Befund.

1. Für die Leitfrage dieser Arbeit: War die Aufteilung der Dreigemeinde ein rein formal-juristischer Akt aufgrund der Dekrete Napoleons oder gab es längere innerjüdische oder politische Bestrebungen für die Aufhebung der Gemeinde-Konföderation?

a) Die Aufteilung der Dreigemeinde erfolgte nur formal-juristisch auf Grundlage des Kaiserlichen Dekrets vom 17. März 1808. Und hier waren es die als Teil der Gemeindeverfassung bekannt gewordenen Artikel 1 bis 7, die in Hamburg zur Separationsakte vom 26. April 1812 führten.
Die beiden Kaiserlichen Dekrete vom 17. März 1808 brachten Gedanken zum Ausdruck, die Napoleon schon in den Staatsratssitzungen des Jahres 1806 und auch später immer wieder geäußert hatte. Waren Sanhedrin und Notabelnversammlung also völlig ohne Bedeutung geblieben? Sicher nicht, schließlich hatten sie eine einheitliche und – gemessen an den Hamburger Verhältnissen – sehr moderne, sprich aufgeklärte, Stellungnahme der Juden zum Staat gebracht. Alleine die Tatsache, dass sich die bedeutendsten Juden (West-) Europas trafen um gemeinsame Beschlüsse in Richtung Assimilation zu vereinbaren, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die französischen Beschlüsse hätten ohne die beiden jüdischen Versammlungen verheerend sein können, schließlich bestand am Anfang ein großer, offen zur Schau getragener Hass wegen der Vorfälle im Elsass.
Auch die wirtschaftlichen Beschränkungen hätten schlimmer ausfallen können, schließlich befand sich Frankreich seit längerem im Krieg und presste die enormen Kosten – jüngstens für den Feldzug gegen Polen – aus der Bevölkerung.

b) Dass fast alle französischen Gesetze und Dekrete nach dem Ende der Franzosenzeit in Hamburg schnellstmöglich wieder aufgehoben werden, die Aufteilung der Dreigemeinde aber bestehen blieb, zeigt den tiefer liegenden Riss zwischen orthodoxem Rabbinat in Altona und den Assimilierungsversuchen aufgeklärter Juden in Hamburg.
Die drastische Formulierung, dass das Altonaer Oberrabbinat nicht länger für die Juden in Hamburg zuständig sei, war auch ganz im Sinne der – nach der Franzosenzeit wieder eingesetzten – Hamburger Behörden. In dieser Sichtweise, eben keine außer-hamburgische Jurisdiktion innerhalb der Hansestadt zu dulden, waren sich Senat und Bürgerschaft ausnahmsweise einmal einig.


2. Warum wurde die Franzosenzeit auch von vielen Hamburger Juden als Unterdrückung empfunden, obwohl Napoleon ihnen doch – wie es zumindest häufig zu lesen und was zu untersuchen ist - die bürgerliche Gleichberechtigung gab?

In Hamburg kann für die kurze Franzosenzeit vor allem ein Konvolut an Sonderregeln für die Juden festgestellt werden. Diese Sonderregeln erklären sowohl die negative Sicht der Juden auf die Franzosenzeit als auch die sehr verhaltene Inanspruchnahme des Bürgerrechts. Die Einschränkungen und Sonderregeln des Bürgerrechts, das den Juden 1791 von der Constituante verliehen wurde, laufen dem Grundsatz der Gleichheit der Französischen Revolution zuwider. Die Rolle Napoleons als Befreier der Juden und der damit verbundene zivilisatorische Fortschritt, wie er oft auch in heutiger Literatur propagandiert wird, ist also in Frage zu stellen.


3. Wie standen äußere Institutionen wie Senat und Bürgerschaft zur Aufteilung der Dreigemeinde?

Dem Hamburger Senat, stets um Ansiedlung reicher Juden als Wirtschaftsfaktor gelegen, wäre auch an einer weitergehenden Integration der jüdischen Religion in den Stadtstaat gelegen, doch konservative und christliche (die lutherischen Kirchen waren stark in der Bürgerschaft vertreten) Kreise verhinderten dies. Das theologische Gutachten, vom Senat bereits vor 1650 in Auftrag gegeben, stellte eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Juden aus. In diesem Sinne hätte der Hamburger Senat seinen Juden bestimmt auch gerne die 12 Fragen der französischen Regierung gestellt, um ihr wirtschaftliches Potenzial stärker nutzen zu können.


4. Welche Rolle spielt die Dreigemeinde im Machtkampf der Bewahrer gegen das Moderne?

Zu Zeiten der Dreigemeinde hatte die jüdische Aufklärungsbewegung, Haskalah, ihr Zentrum eindeutig in Berlin. Es fehlte in Hamburg an intellektuellen Zirkeln und Kontakte zwischen Aufklärern verschiedener Konfessionen kamen lediglich über das Christeaneum in Altona und später über das Johanneum in Hamburg zustande.[194]
Die Förderation der Dreigemeinde mit der Führungsrolle der stets konservativen Altonaer Oberrabiner lähmte die jüdische Aufklärung im Hamburger Raum. Das Wirken der letzten Oberrabbiner der Dreigemeinde und vor allem der Amulettenstreit machen deutlich, warum Hamburg als größte jüdische Gemeinde nicht mit den Bestrebungen des aufgeklärten Reformjudentums in Berlin Schritt halten konnte.
Erst mit dem Ende der Dreigemeinde konnten sich auch die reformerischen Kräfte in Hamburg frei entfalten. Die Aktivitäten ihrer Schul- und Armenhäuser-gründungen in den folgenden Jahren sprechen eine deutliche Sprache: Nach 1815 etablierten Gemeinde und Haskalahkreis ein umfangreiches Sozialwesen, das wesentlich langfristiger half als die allgemeine Armenanstalt, die sich zum reinen Almoseninstitut zurückentwickelte.
Die sich bis dahin entwickelnde Salon- und Vergnügungskultur wurde von orthodoxen Gemeindevorständen scharf kritisiert und mit Verboten belegt. Die rege Teilnahme von Juden an Feiertagen in Wirtshäusern, Kegelbahnen, Komödien oder Fechtschulen wurde ebenso verboten, wie der Besuch der Oper für Frauen und die äußere Assimilation durch moderne Haar- und Kleidungsmode, bei gleichzeitigen Besuchen moderner Kaffeehäuser und Vergnügungslokale.
Schließlich war für die Hamburger Reformer die wichtigste innergemeindliche Fessel abgestreift: Die Jurisdiktion der Altonaer Oberrabiner mit ihren konservativen Urteilen und der Lähmung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert durch Amulettenstreit und gegenseitige Bann-Aussprechung (vgl. den Fall Samuel Marcus, Kap. 3.7)
Die äußere Orientierung hin zum Patriotismus wurde auch durch fehlendes Konfliktpotenzial im Inneren beschleunigt. In der Deutsch-Israelitischen Gemeinde hatten sowohl Reformierte als auch Neuorthodoxe ihr zu Hause. Die Verbindung von Tradition und Moderne, die anderswo, zum Beispiel in Berlin, für viele Schwierigkeiten sorgte, passierte in Hamburg dank geschickter Leitung, ohne größere Konflikte.
Das Schulwesen wurde mit den Eröffnungen der Talmud-Tora-Schule (1805), der Israelitischen Freischule (1815) und der Armen-Mädchen-Schule (1818) ebenso reformiert wie die Armenanstalt. Es entstand ein reiches kulturelles Leben, an dem ein Hamburger Reformjudentum teilnahm, dass Berlin wieder als Vorreiter der jüdischen Moderne in Deutschland abgelöst hatte.
Die negative Sicht der Franzosenzeit befeuerte neuen Patriotismus, der schon früh innerhalb der jüdischen Gemeinde gelegentlich zum Nationalismus umschlug. Auch die 1815 auf dem Wiener Kongress von Hamburg forcierte Rückstufung der Juden auf die Rechte von 1710 konnte daran nichts ändern.
Die Aufteilung der Dreigemeinde blieb nach der Franzosenzeit nur deshalb bestehen, weil sie viel mehr war als nur die Umsetzung der französischen Gesetzgebung in Hamburg. Sie war der Endpunkt eines langen geschichtlichen Prozesses, in dem zwischen Dänemark und Hamburg sowie zwischen konservativen und aufgeklärten Juden vielen Gruppen an einer Spaltung gelegen war.

[194] Vgl. Herzig (1991), S. 61.
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