Synagoge

Die Aufteilung der jüdischen Dreigemeinde in Hamburg 1812

von Simon Hollendung

3.1.4 Der Grund aller Ansiedlungen im Hamburg Raum: Die Freie- und Hansestadt Hamburg

Im Stadtstaat Hamburg war das Verhältnis von Aschkenasim zu ihrer nicht-jüdischen Umwelt vom Machtkampf zwischen Senat und Bürgerschaft geprägt. Während der Senat aus wirtschaftlichen Gründen die Ansiedlung deutscher Juden beförderte, d.h. zumindest nicht verhindert, gab es unter den Bürgern der Stadt große Vorurteile und theologisch motivierten Judenhass. Dies führte zu einer wechselhaften Politik gegenüber den Aschkenasim, deren erste Ansiedlung nach Böhm erst 1621 in Form von zur Altonaer Gemeinde gehörenden Juden stattfand.[61] Da aber nach den von Graupe edierten Quellen bereits 1614 ein Rechtsgesuch Hamburger Juden an das Rabbinat Altona[62] erging, muss es bereits früher aschkenasiche Ansiedlungen im Stadtstaat gegeben haben. Für die Sepharden bestand bereits seit 1620 ein Vertrag mit dem Rat, der ihre Ansiedlung und wirtschaftliche Tätigkeit aufgrund der Kontakte zur ibererischen Halbinsel unterstützt, die Religionsausübung allerdings stark einschränkte.
Fakt ist, dass die Aschkenasim in Hamburg keine rechtliche Grundlage besaßen, sie waren nur aufgrund von Privatabmachungen oder Stillschweigen geduldet, bzw. standen als Altonaer Schutzjuden unter dem schauenburger, später dem dänischen Schutz.
1627 flüchten Altonaer Juden aus Furcht vor Tillys Armee nach Hamburg und viele von ihnen werden hier sesshaft. Auch in dieser Zeit gab es noch keine gesetzlichen Abmachungen. Diesen unsicheren Status bekamen auch die 1644 vor schwedischen Truppen von Altona flüchtenden Juden. Fünf Jahre später setzten Bürgerschaft und Geistlichkeit ihre Ausweisung gegen den Rat durch, viele siedelten sich wieder in Altona an, um weiterhin in Hamburg erwerbstätig zu sein. Einige deutsche Juden ließen sich, oftmals nur formell, als Dienstboten bei Sephardim einstellen und fielen damit unter ihr Privileg.[63]
Im Winter 1657/58 kam es zur erneuten Flucht vor schwedischen Truppen und für die Jahre nach 1688 sind auch Wandsbeker Juden belegt, die in Hamburg arbeiteten. Ob es bereits ab 1650 eine generelle rechtliche Regelung gab, ist unsicher. Die Situation der Juden in Hamburg ist wenig schriftlich fixiert und vieles geschah wohl weiterhin nur unter stillschweigender Duldung bei immer höheren Abgaben, dem Verbot von Religionsausübung und Synagogenbau sowie starken Einschränkungen der Erwerbstätigkeit.
Der Senat versuchte den Status der in Hamburg lebenden Juden festzuschreiben (Revidirte Articuli wor nach sich die hochdeutschen Juden, so in dieser Stadt Schutz genommen, zu richten haben sollen, vom 28. Mai 1697[64]). Allerdings wurde auch dem revidierten Artikel nicht in der Bürgerschaft zugestimmt und er blieb daher ohne Gesetzeskraft.[65]
Doch nicht nur Bürgerschaft und Geistlichkeit in Hamburg versuchten eine rechtliche Regelung, die eine Gemeindebildung zur Folge hätte, zu unterbinden. Auch das Altonaer Rabbinat hatte Angst um seine wirtschaftlich stärksten und damit wichtigsten Mitglieder, da diese in Hamburg wohnten und Altonaer Schutzjuden waren: „Gestützt auf ihre dänischen Privilegien, die das Nieder-lassungsrecht für hochdeutsche Juden auch in Hamburg von der Zustimmung des Altonaer Gemeindevorstandes abhängig machten, wollten die Altonaer lange Zeit keine zweite Gemeinde deutscher Juden in Hamburg dulden.“[66]
Die Prinzipienfrage um die Vormachtsstellung wurde auch beim Friedhofstreit deutlich, aus dem letztendlich die Dreigemeinde hervorging. Hamburger Juden hatten 1666 ein „dänisches Stück Land“ auf Ewigkeit erworben, wie es der jüdische Ritus zur Errichtung eines Friedhofs vorsah.
In dem sich abzeichnenden Konflikt entschied mit der rabbinische Instanz einer Vierländersynode von Rabbinern in Polen erstmalig eine große Autorität positiv für die Hamburger Juden und ihre Selbstständigkeit. Allerdings wurde das Gremium, da es weit weg vom Orte des Geschehens tagt und nur einseitig von den Hamburger Juden informiert war, und sein Urteil von der Altonaer Gemeinde und von den dänischen Behörden ignoriert.[67]
Zu einem Mitbenutzungsrecht des Friedhofes Ottensen für die Hamburger Juden kam es im Jahre 1666 nur aufgrund einer eigenen Entscheidung der Altonaer Gemeinde und unter dem erheblichen Einfluss des Zeitgeistes. Das zugestandene Mitbesitz- und Mitnutzungsrecht gegen die Übernahme der Grundbuchkosten und zweimal 25 Reichstaler pro anno enthielt nämlich den Passus, dass der volle Betrag auf einmal zu zahlen wäre, wenn vor Chanukka 1666 der Messias auf die Erde käme. Hintergrund ist die aufgrund zahlreicher Verfolgungen und Pogrome in Osteuropa stark propagandierte Messias-Erwartung für 1666. Zwar hat die von vielen Rabbis angestachelte Endzeitstimmung in Schabtei Zwi einen vehementen Widersacher im Hamburger Raum, und doch zeigt der Passus sowohl die auch in Altona starke Hoffnung auf ein baldiges Ende der irdischen Leiden als auch den sehr pragmatischen Umgang damit.
Zum allgemeinen Status der Hamburger Juden äußert sich das Altonaer Rabbinat nur sehr beiläufig. Im Vertrag mit den Sepharden vom 29. April 1669 wurden nur den aktuell in Hamburg lebenden 24 Familien stark beschränkte Gemeinderechte eingestanden. Die volle Selbstständigkeit mit Übernahme des Gemeindestatus durch Kinder und Kindeskinder wurde nicht anerkannt.
Erst durch das Kaiserliche Reglement der Judenschaft in Hamburg, so portugiesischer als hochdeutscher Nation vom 7. September 1710[68] kam es im Zuge einer Verfassungsänderung zu einem Reglement des Judenrechts in Hamburg. Damit werden aschkenasische und sephardische Juden gleichgestellt, die christliche Umwelt vor ihnen "geschützt" und weitere religiöse und erwerbstätige Beschränkungen manifestiert. Diese Regelungen hatten über ein Jahrhundert Bestand, wurden allerdings 1721 zu Gunsten einer eigenen jüdischen Gerichtsbarkeit erweitert und 1734 in einigen Punkten verschärft.
Das Reglement bietet die erste quellenmäßig gesicherte Grundlage für das Wohnrecht aschkenasicher Juden in Hamburg. Es blieb weit hinter den liberalen dänischen Privilegien zurück und verbot u.a. den Synagogenbau und Grundbesitz für Juden.
Im politischen Streit zwischen Hamburg und Dänemark setzte es einen besonderen Stachel, da es vorschrieb, in Zukunft nur noch jüdische Zeremonial-angelegenheiten vor die Altonaer Jurisdiktion zu bringen und alle weiteren rechtlichen Dinge vor ordentlichen Hamburger Gerichten zu klären. Dieser Paragraph war allerdings in der Praxis schwer umzusetzen, da viele in Hamburg lebenden Juden unter altonaisch-dänischem Schutz standen und politische Schwierigkeiten sich bereits vorher abzeichneten.
Hamburg war von den Schauenburger Grafen und auch später von Dänemark nicht als Freie- und Hansestadt anerkannt und verweigerte den Oberhoheitsanspruch der Dänen über die Stadt. Die dänische Krone benutzte das Altonaer Rabbinat für seine Zwecke, der Hamburger Senat instrumentalisierte die kleine nach Unabhängigkeit strebende jüdische Gemeinde in ihrer Stadt. Bereits das Reglement von 1710 (s.o.) schien den Hamburgern Recht zu geben. Im Gottorfer Vergleich (1768) wurde Hamburg von Dänemark anerkannt. Allerdings nahmen die Spannungen für die Dreigemeinde dadurch erst zu. Schließlich war „die Frage der Jurisdiktion des Altonaer Rabbinats über die in Hamburg lebenden Juden offen gelassen. Dieser Status quo blieb bis zur Auflösung der drei Gemeinden durch die Franzosen 1811 ungelöst bestehen.“[69]

Fest zu halten bleibt, dass von den sechs aschkenasischen Gemeinden im Hamburger Raum[70] diejenige im Stadtstaat die ungünstigsten Rahmenbe-dingungen hatte, obwohl sie gleichzeitig die besten wirtschaftlichen Möglichkeiten bot.

[61] Vgl. Böhm (1991), S. 47.

[62] Vgl. Kap. 3.1.1 dieser Arbeit und Graupe (1973), S.15.

[63] Vgl. Graupe (1973), S. 24ff.

[64] In: Grunwald (1904), S. 184.

[65] Vgl. Graupe (1973), S. 25.

[66] Ebd, S. 26.

[67] Vgl. Ebd..

[68] StaAHH Bestand Senat Cl. VIII Lit. Hf No.5 Vol 1 a, abgedruckt als Anhang A dieser Arbeit.

[69] Graupe (1973), S. 28.

[70] Es sind dies die jeweils als Doppelgemeinde zu betrachtenden Gruppen "Altona" und "Altonaer Schutzjuden in Hamburg" sowie "Wandsbek" und "Wandsbeker Schutzjuden in Hamburg", "Hamburg" und die kleine "Gemeinde in Harburg".
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