Synagoge

Die Aufteilung der jüdischen Dreigemeinde in Hamburg 1812

von Simon Hollendung

6 Die Aufteilung der Dreigemeinde

6.1 Die Dekrete von 1808 und ihre Bedeutung für Hamburg

Wenn Streicher in ihrer Arbeit feststellt, dass die Aufteilung der jüdischen Dreigemeinde und die Einführung der französischen Gesetzgebung im Jahre 1811 weniger in Verbindung miteinander stehen, als dies beim bloßen Zusammen-treffen der beiden Daten angenommen werden könnte[175], so ist dies formal-juristisch falsch. Denn das erste der beiden Dekrete Napoleons vom 17. März 1808, das nun auch in Hamburg in Kraft trat, umfasste die religiöse Organisation der jüdischen Gemeinden und sicherte eine relative Freiheit in diesen Dingen zu. Allerdings sollte jeder Ort mit mehr als 2000 Juden eine eigene Gemeinde inklusive Synagoge gründen und alle Departements für sich geschlossen organisiert sein (siehe vollständiges Dekret im Anhang C).
Die Aufteilung der Dreigemeinde vollzog sich aufgrund dieses Dekrets und der Tatsache, dass in Hamburg nicht nur mehr als 2.000 Juden lebten (gegen Art. 1), sondern auch eine Gemeinde-Konföderation aus drei unterschiedlichen territorialen Rechtsgebieten bestand (gegen Art. 2).
Der Schlusssatz in Artikel 2, dass der Sitz der Synagoge immer in der Stadt sein soll, worin sich die meisten Israeliten befanden, war Wasser auf die Mühlen der Hamburger Juden.
Auch die weiteren Artikel gaben den Hamburgern in ihrem langen Ringen um die Vormachtsstellung gegenüber Altona auf ganzer Linie Recht:

Artikel 4: „Jede besondere Synagoge [gemeint ist die Consistorial-Synagoge am Hauptort der Gemeinde = Hamburg] soll von zwei Notabeln und einem Rabbiner, die von der befugten Gewalt [das ist die Hamburger Gemeinde; in zivil-juristischen Fragen die Behörden] ernannt werden, zu verwalten sein.“[176]

Artikel 5: „Jeglicher Consistorial-Synagoge steht ein Oberrabiner vor.“[177]

Artikel 6: „Die Consistorien bestehen aus dem Oberrabiner, einem anderen Rabbiner, so viel es thunlich ist, und dreien anderen Israeliten, wovon zwei unter den Einwohnern der Stadt, wo das Consistorium Sitz hat [= Hamburg] erwählt werden“[178]

Die Jurisdiktion des konservativen Altonaer Oberrabinat über die Hamburger Juden hatte damit ein Ende.
Alle Sonderbestimmungen und Dekrete waren in Frankreich nach und nach und mit Übergangs- und Fristenregelungen entstanden. In Hamburg traten 1811 allerdings alle bis dato gültigen Gesetze in Kraft, was eine große Belastung für die Juden und absolut keine Gleichberechtigung bedeutete. „Die Umwandlung traf die Juden zu einer Zeit großer Handelszerrüttungen und die Gemeinde-Cassen befanden sich in einem sehr fühlbaren Verfall.“[179]
Der Hamburger Gemeinde „ward überdies bald die Nothwendigkeit klar, sich von der Gemeinde in Altona, der sie Jahr für Jahr hatte aushelfen müssen, endlich zu trennen, und schon am 26. December ward ein Ausschuss zur Anbahnung dieser Trennung ernannt worden.“[180]
Bei einer ersten Versammlung der Deuputierten aus den drei Gemeinden wurde darüber beraten, wie die neu angekommenen französischen Behörden zu begrüßen seien. Auch Vertreter der Sepharden waren eingeladen, sie kamen aber – nach Haarbleicher aus „castilianische[m] Hochmuth“ – nicht zu der Versammlung.[181]
Zunächst wurden die beiden jüdischen Municipalräte Hamburgs, Moses Isaac Hertz und Jacob Oppenheimer, beauftragt, ein „Mémoire über die Verhältnisse ihrer hiesigen Glaubensgenossen darzulegen.“[182]
Das Mémoire sollte der französischen Regierung zur Aushebung des Militärs dienen. Die beiden Municipalräte versuchten, vor allem die Ausnahmeregeln vom 17. März 1808 von Hamburg fernzuhalten. Dieses als Décret infame bekannte Dokument beinhaltete ein jährliches Moralpatent sowie Beschränkungen im Geldverkehr und in der Kriegsdienst-Stellvertreter-Regelung und war zunächst für die Juden im Elsass erlassen worden.[183] Der Graf „Chaban sagte diese Rücksichtsnahmen am 1. März zu, mit dem Vorbehalt der Genehmigung in Paris.“[184]
Deutlich wird im Mémoire auch die rechtliche Unsicherheit der Juden vor allem in Erbschafts- und Finanzfragen. Der Hamburger Senat war am 13. Februar zurückgetreten und vom französischen Kaiser waren keine weiteren außer den bekannten Dekreten in Richtung der Juden erlassen worden.
Vor allem im Fall der Schutzgeldzahlung an Dänemark wurde dies deutlich. Der Contract war 1808 erneut auf zehn Jahre ausgestellt worden und die Altonaer Gemeinde hatte sich jedes Jahr die Hälfte des Betrages von den Hamburgern zahlen lassen, um dann die volle Summe nach Kopenhagen zu überweisen. Die Hamburger Juden, den Prozess der Auflösung der Dreigemeinde vor Augen, ließen verlauten, das dieses Schutzgeld für den Friedhof auf dänischem Grund gelte und da dieser zur Zeit nicht benutzbar sei, müsse man nicht zahlen. Die Hamburger ließen die Sache damit auf sich beruhen, die Forderungen der dänischen Krone wurden noch viele Jahre aufrechterhalten und immer wieder an Hamburg herangetragen.
Im Prozess der Aufteilung der Dreigemeinde verhielt sich Altona – nach Haarbleicher -„sehr schläfrig“.[185] Sie sahen keine Dringlichkeit, da die Hamburger nur auf mündliche Mitteilungen der Behörden reagierten. Da die französische Gesetzgebung aber unumstößlich eingeführt war, zeigt dieses Verhalten die Angst vor dem Machtverlust. „Im Ganzen scheinen diese [Verhandlungen] von dem Altonaer Vorsitzenden Meyer Benjamin Cohen, bedeutend in Schach gehalten worden zu sein“.[186]
Den Hamburger Deputierten war dagegen von ihrer Gemeinde die absolute Vollmacht über einen möglichst schnell zu erzielenden Abschluss erteilt worden, auch eine Ratifizierung etwaiger Verträge durften sie ohne Rücksprache vornehmen. Entsprechende Protokolle der verschiedensten Kommissionen liegen im Staatsarchiv Hamburg auf Hebräisch vor[187], da die Gemeinden erst ab 1812 angehalten waren, diese auch in deutscher Sprache zu verfassen.
Die Separationsakte vom 26. April 1812 ist daher eines der ersten längeren Schriftstücke der jüdischen Gemeinden im Hamburger Raum, das auf Deutsch vorliegt.[188]
In ihren wichtigsten Punkten beinhaltete die Separationsakte, dass alles Eigentum auf Hamburger Gebiet den Hamburgern und ebenso alles auf Altonaer Gebiet den Altonaern zufiel (Artikel 3 u. 4). Ausnahme bildete das in Altona befindliche Krankenhaus und der 1810 auf dänischem Boden neu gekaufte Friedhof, der auch weiterhin von beiden Gemeinden benutzt und dazu mit einem „Scheidungsgraben“ ausgestattet wurde (Artikel 6).[189]
Die Schulden wurden getrennt, Protokolle der Vorstandssitzungen blieben in Altona, Testamente in Hamburg.

„Endlich ist für den Fall einer zweifelhaften Interpretation des Contracts der Berufung an ein mosaisches Schiedsgericht vorbehalten.“[190]
Haarbleicher schreibt: „Ging man mit Widerwillen und Trägheit an die Auflösung alter, durch Gewohnheit lieb gewordener Verhältnisse, so machte man sich um so freudiger an die Vereinigung der drei Gemeinden.“ Hierbei ist festzuhalten, dass Haarbleicher aus seiner Perspektive und seiner Zeit (1867) schreibt und er bereits vorher deutlich machte, dass Widerwille und Trägheit nur auf der Altonaer Seite zu finden waren.
Eine Vereinigung fand zwar statt, allerdings nur eine Vereinigung der verschiedenen aschkenasischen Gruppen innerhalb Hamburgs. Die Dreigemeinde aber blieb Geschichte und mit ihr der größte Streitpunkt der Juden im Hamburger Raum:
„[M]it diesem Tage ward die besondere jüdische Jurisdiktion zu Grabe getragen. Es ward dem Rabbinatsgericht in Altona von Seiten Hamburgs durch die Beglaubigten der Gemeinden wörtlich notificirt: ´dass es für Hamburg nicht mehr existire, dass es weder Citationen an Hamburgische Einwohner zu erlassen, noch Hamburger Rechtssachen vorzunehmen, auch die bereits anhängigen liegen zu lassen habe.´“[191]
In dieser Formulierung schwang der ganze Groll der Hamburger über die Altonaer Jurisdiktion mit.
Die gewählten Worte sind nach Haarbleicher auch deshalb zu stark, weil ein Hamburger Jude im Streit mit einem Holsteinischen Juden weiterhin (bis 1863) vorm Altonaer Gericht vorstellig werden musste.[192]
Trotzdem wurde von den Hamburger Juden der Anbruch einer neuen Zeit gefeiert, weil aus ihrer Sicht der positive Endpunkt einer langen Entwicklung stattgefunden hatte. „So war nun das alte Regime völlig beseitigt.“[193]

[175] Vgl. Streicher (1989), S. 3 des Vorwortes.

[176] Anhang C.

[177] Ebd..

[178] Ebd., Artikel 6.

[179] Haarbleicher (1867), S. 70.

[180] Ebd.

[181] Ebd.

[182] Ebd.

[183] Vgl. Haarbleicher (1867), S. 71.

[184] Ebd.

[185] Ebd., S. 80.

[186] Ebd., S. 80

[187] StaAHH BJG 522-1 109 PK und StaAHH BJG 522-1 111 PK.

[188] StaAHH BJG 522 – 1, 741-4, Sa 930. Allerdings ist die Akte in Handschrift von 1811, was nur für einen Experten zweifelsfrei zu lesen wäre, weshalb ich mich an Haarbleicher (1867) halte.

[189] Nach Haarbleicher (1867), S. 81.

[190] Ebd.

[191] Ebd., S. 83f.

[192] Ebd., S. 83.

[193] Ebd., S. 94.
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